Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Charta aus der Deutschschweiz anlässlich der Startkonferenz des Netzwerks «Gemeinsam gegen Grenzverletzung».
Am 6. Dezember war es endlich so weit: Nicht Nüsse und Mandarinen wurden in Oberägeri und in Lausanne verteilt, sondern das dreisprachige Netzwerk «Gemeinsam gegen Grenzverletzung» gegründet. Rund 60 Fach- und Kirchenverbände aus dem nationalen Netzwerk der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA-RES taten sich zusammen, um gemeinsam einen professionellen, achtsamen und offenen Umgang mit grenzverletzendem Verhalten zu entwickeln.
Knapp drei Jahre hat es gedauert, die Gründung dieses Netzwerks vorzubereiten. Der Bedarf an Kompetenzaustausch und Präventionsarbeit ist vorhanden, weil grenzverletzendes Verhalten auch vor Kirchenmauern nicht haltmacht. Gerade als Gemeinschaften, die christlichen Werten verpflichtet sind, sind wir zum Handeln aufgerufen.
Vor diesem Hintergrund waren rund 60 Kirchen- und Fachverbände aus der ganzen Schweiz bereit, mit der Unterzeichnung einer Charta sich selbst zu verpflichten und Taten folgen zu lassen. Die feierliche Unterzeichnung fand zeitgleich in der Deutsch- und der Westschweiz statt, verbunden mit einer Videoschaltung. Denn wo immer möglich sollen Synergien zwischen den Sprachregionen genutzt werden.
Christian Kuhn, Direktor des Réseau évangélique suisse (RES), betont: «Wir freuen uns sehr, dass es in Zukunft noch weniger grenzüberschreitende Situationen in unseren Kreisen geben wird. Das Engagement einer Mehrheit der Kirchen aus dem SEA-RES-Netzwerk für diese Charta sowie für das Rechenschafts- und Unterstützungs-Netzwerk wird es uns ermöglichen, bei diesem wichtigen Thema auf Kurs zu bleiben.»
Mit der Unterzeichnung der Charta bekennen sich die Verbände zur Null-Toleranz-Politik gegenüber jeglichem Machtmissbrauch und grenzverletzendem Verhalten, gerade in eigentlichen Schutzräumen von Freikirchen und kirchlichen Einrichtungen oder Organisationen. Damit fängt die wirkliche Arbeit für alle Beteiligten indes erst an.
Einander helfen, besser zu werden
Die Unterzeichnung verpflichtet die Verbände unter anderem zur Grundhaltung der professionellen Nähe. Zudem sind sie angehalten, Konzepte zur Prävention und Krisenintervention sowie Standards für Leitende und Mitarbeitende zu implementieren. Zur Umsetzung dienen eine zweijährlich stattfindende Rechenschafts- und Impulskonferenz sowie der gegenseitige Austausch von Know-how über eine Webseite. «Mit diesem Netzwerk wollen wir einander helfen, im Umgang mit grenzverletzendem Verhalten besser zu werden», sagt Andi Bachmann-Roth, Co-Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA.
Erfreulicherweise ist in fast allen Verbänden bereits viel Erfahrung vorhanden. Daran soll angeknüpft und das Wissen gebündelt werden. Mit dabei sind Organisationen aus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, wo mit besonders verletzlichen Menschen gearbeitet wird; christliche Sozialwerke, die seit Jahrzehnten verpflichtet sind, dieses Thema professionell anzugehen; die Jugendverbände, welche für ihre Lager seit Langem Schutzkonzepte haben, und Kirchen, die sich intensiv darüber Gedanken machen, wie man seelsorgerliche Begleitung gestaltet, oder Meldestellen installieren. Das Motto ist: «Wir schauen hin und handeln! Wir dulden keine sexuelle Ausbeutung, keinen Machtmissbrauch und keine anderen Grenzverletzungen.»
An der Startkonferenz des Netzwerks, das zugleich eine Arbeitsgemeinschaft der SEA-RES bildet, nahmen neben den Unterzeichnern weitere Präventionsbeauftragte und Fachpersonen teil. Sie profitierten von inhaltlich gehaltvollen Vorträgen des Theologen Stefan Zürcher (Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche EMK für Mittel- und Südeuropa und Leiter des Krisenstabs), von Natascha Bertschinger (Supervisorin und Psychologin bei der EMK) und Präventionsfachfrau Karin Iten (Präventionsbeauftragte bei der Katholischen Kirche des Bistums Chur), die über spirituellen Missbrauch sprach.